Medizin-Journal Krebs: Neuartige Hilotherapy® vermeidet schmerzhafte Nervenerkrankung

Polyneuropathie bekämpfen

Frau Dr. Trudi Schaper: Polyneuropathien sind eine gefürchtete Nebenwirkung einiger Krebstherapien. Könnten Sie uns bitte kurz erläutern, was Polyneuropathien sind und wie sie entstehen?

Eine Vielzahl von peripheren Nerven endet in der Haut. Sie werden durch ver- schiedene Auslöser wie Berührung, Ver- letzung oder Temperatur aktiviert und schicken dann Signale zum Gehirn. An Händen – vor allem in den Fingerspitzen – und an den Füßen sind solche Nerven- enden in besonders hoher Dichte zu finden. Werden die Nerven geschädigt, kann ein Sensibilitätsausfall die Folge sein. Ein Frühsymptom einer Polyneuropathie können Missempfindungen wie Ameisenkribbeln sein. Im Bereich der Füße können Sensibilitätsstörungen Gangunsicherheiten nach sich ziehen.

Die sogenannte „Chemotherapie-in- duzierte periphere Neuropathie“ – kurz CIPN – tritt besonders bei Patienten auf, die im Rahmen ihrer Krebstherapie mit taxanhaltigen Medikamenten (Paclita- xel, Docetaxel, nab-Paclitaxel) behan- delt werden. Aber auch andere Medika- mente können zur Ausprägung der CIPN führen.

In Zusammenhang mit entzündlichen Hautreaktionen an Händen und Füßen tritt hier als Sonderform das sogenannten Hand-Fuß-Syndrom auf. Die Beschwerden sind vielfältig: schmerzhafte Rötungen, Brennen, teilweise mit Hautabschürfungen, Kribbeln an Händen und/oder Füßen, später auch Taubheitsgefühle und übermäßiges Schmerzempfinden. Zudem können Bewegungskoordination und Gleichgewicht problematisch werden. Es handelt sich bei dieser Nebenwirkung um eine Langzeitkomplikation, die die Lebensqualität unserer Patienten stark beeinträchtigen kann. Um diese Beeinträchtigung zu vermeiden, müssen wir beim Auftreten akuter Symptome während der Chemotherapie häufig die Therapieintervalle verlängern, die Dosis reduzieren und im schlimmsten Fall sogar die Chemotherapie abbrechen. Das kann den langfristigen Therapieerfolg negativ beeinflussen.

Können sich Patienten vor dieser Nebenwirkung schützen?
Studien haben belegt, dass es hilfreich sein kann, die Durchblutung in Fingern und Füßen während der Therapie zu reduzieren. Dadurch wird dort die Konzentration des Medikaments, das die Nerven schädigen kann, verringert. Bei der sogenannten Hilotherapy® beispielsweise ziehen sich die Blutgefäße durch eine kontrollierte Hand-Fuß-Kühlung während der Chemotherapie zusammen, was eine reduzierte Durchblutung der Extremitäten zur Folge hat. Mit einem speziellen, computergesteuerten Kühlgerät (ChemoCare) werden Hände und Füße kontinuierlich bei 10° bis 12°C etwa 30 Minuten vor Beginn bis 30–60 Minuten nach der Chemotherapie gekühlt.

Gibt es auch andere Möglichkeiten, um die Durchblutung kurzzeitig zu reduzieren?
Kühlung und Kompression sind die beiden gängigen Methoden. Die Kühlung kann auch durch Kühlkompressen oder Eishandschuhe erfolgen. Wichtig ist jedoch eine kontinuierliche Kühlung. Eine vorübergehende Erwärmung der Hände während der Therapie, weil beispielsweise eine Kühlkompresse oder ein Eishandschuh im Verlauf der Therapie wieder wärmer werden, sollte verhindert werden, da die Durchblutung in den Gliedmaßen dadurch sogar noch verstärkt werden kann. Das ist meines Erachtens der Nachteil bei diesen beiden Methoden: Hände und Füße werden erst extrem gekühlt, was teilweise schmerzhaft für die Pati- enten ist, bevor sie sich dann im Verlauf erwärmen. Die Hilotherapy® dagegen garantiert eine konstante moderate Kühlung, die von unseren Patienten gut toleriert wird.Als weitere Methode ist die Kompression zu erwähnen. Hierzu sind extrem eng sitzende Kompressionshand- schuhe und -füßlinge erforderlich. Sie müssen so eng sein, dass die Durchblutung tatsächlich reduziert wird.

Die Hilotherapy® kann also eine Polyneuropathie verhindern?
Die Ergebnisse der vorbeugenden Hilotherapy® sind vielversprechend und überzeugend. Schwere Verläufe können nun offensichtlich verhindert werden. Wir sehen kaum mehr Patienten mit sehr starken Symptomen.

Wir haben jetzt Daten von 186 Patientinnen ausgewertet, die sich für vorbeugende Kühlung ihrer Hände und Füße mit dem „Hilotherm ChemoCare“ Gerät entschieden. Von diesen Frauen gaben nur acht Patientinnen an, kurzfristig Symptome mit Schmerzen und leichten Beeinträchtigungen im Alltag zu haben, eine Patientin klagte über einen schwereren Verlauf mit starken Schmerzen.

Da die Symptome aber nicht anhaltend waren, konnte die Chemotherapie fortgeführt werden. Vier Wochen nach Therapieende klagten nur noch fünf Patientinnen über leichte Einschränkungen und Schmerzen. Wichtig: je früher gekühlt wird, desto besser.

Die Prognose vieler Krebspatienten hat sich in den letzten Jahren durch innovative Therapiekonzepte deutlich verbessert, es gibt immer mehr Langzeitüberlebende. Aus diesem Grund sollte die Vermeidung langfristiger Therapie-Folgeschäden stärker in den Fokus der Krebsbehandlung gerückt werden. Hier werden meines Erachtens vorhandene Möglichkeiten nicht ausreichend genutzt.

Was können Patienten tun, wenn sie bereits eine Polyneuropathie entwickelt haben?
In dem Fall kann man leider wenig tun, weshalb die Prophylaxe so wichtig ist. Medikamente, mit denen sich die Reparatur der geschädigten Nerven nachweislich beschleunigen ließe, gibt es aktuell nicht. Patienten sollten im Fall einer Polyneuropathie aber die Möglichkeiten der physikalischen Therapie opimal ausschöpfen, insbesondere bei Gangunsicherheiten.

Dr. rer. nat. Trudi Schaper
Vorsitzende Internationale Senologie Initiative ISI e.V
Studienleitung am Brustzentrum Luisenkrankenhaus